tagebuchstaben 10
jeden tag ein notat. (auch das hilft durch fiesezeit.)
jeden morgen schreibe ich morgenseiten und daraus filtere ich ein notat. gedanken des tages. momente des tages. mein writerslife und der hallraum, in dem es schwirrt. manchmal mit wörtern aus meinem manteltaschenbuch. manchmal mit wörtern von anderen, die ich gerade lese. manchmal nur aus den seiten des morgens.
Dienstag 27.2.24 Schatz
Schatzpost im Kasten. Konnte gar nicht lesen, von wem, wegen Brille nicht dabei. Befühlte den orangen Umschlag, ein Gegenstand war drin. Rund und weich. Auf dem Umschlag klebten Flamingo Seehund und Goldmünzen. Etwas fliegt, etwas schwimmt und etwas funkelt. Postkastenglück würde Simone Scharbert sagen. Ich trug die federleichte Schatzbotschaft hoch und legte sie auf meinen Tisch, auf dem gerade ein Onlineworkshop stattfand. Erkannte Schweiz auf dem Umschlag und denke an die vielen Schulklassen, die ich besuche, und von denen ich später Post bekomme. Später aber hörte ich eine Schneckenstille, als ich Hoffnung für die Ohren aus dem Umschlag holte. Ohrringe selbst gefädelt aus Buchstaben und schwarzen Federn. Das Wort Nada bedeutet Hoffnung auf Kroatisch zum Beispiel. In ein schwarzweißes Tuch gewickelte Hoffnung. Überbracht von einem gezeichneten „Ich-umarm-dich-Affe“. Ich schlucke. „Wir wollten dich mit einer Kleinigkeit überraschen!“, lese ich und sehe Schmuckkleber aus Chile. Und jetzt kapiere ich wer WIR ist. Junge und Mutter aus meiner allerersten #machdichstarkdurchschreiben Online Schreibwerkstatt in der Corona-Zeit. Für Kids of Color. Für mehrsprachige Kids. Auf der Karte finde ich Silberspuren und ein Medaillon, aus dem mich eine Schnecke fröhlich anlächelte. Damals haben wir schöne Botschaften geschrieben und Postkarten daraus gemacht. Und sie verschickt, an Menschen, die in der Coronazeit Empowerment gebrauchen konnten. Die Schnecke lächelt. Am Ohr die Hoffnung in der Hand die Verbundenheit, die durch meine Arbeit entsteht, im Herzen die Wärme des „Ich-umarm-dich-Affe“. DANKE GRACIAS MERCISCHUKRANS VIELE ihr Zauberhaftesten. Die Kleinigkeit ist die Welt, Habib*ties.
Mittwoch, der 28.2.24 (Arbeit)
Ich reise zu Freunden. Auf der Strecke zu meiner kleinen privaten Auszeit wartet der Zug immer wieder ab. Ich aber habe immer Arbeit mit. Die letzten Noten werden eingetragen und die letzten Buchempfehlungen für die Festschrift der Lesewelten in Köln, deren Vorlesebotschafterin ich ja letztes Jahr geworden bin, in den Computer getippt. Und dann lese ich das Manuskript einer Freundin und „borge mir“ das aus den Lettern blitzende breite Lächeln.
Donnerstag, der 29.3. Leberblümchen
Frischluft. Vom nebligen ersten Licht bis zum gelbweißen Sonnenuntergang. Pause von Buchstaben. Aber das Schreiben kommt doch immer mit. Zum Beispiel nach Schwäbisch Hall. Hall ist der keltische Name für Salz. Kocher heißt das Flüsschen in Rosengarten. Salzkocher ist ein seltsames am Neckar wohnendes Gerät mit dem Salz gekocht wird, nur wofür weiß kein Mensch. Ich spaziere durch eine Schlucht namens Klinge, Leberblümchen sagen Salaam, und ich frage mich, ob mehr Leber und mehr Leben im Wortviolett des Blütchens steckt. Laufe über Laub, laube an Baumbeulen vorbei, der Geist federt in Moosen und schlägt Wurzeln am Wasserfall.
Freitag, der 1.2.24. Zucker (Şeker)
Gestern Salz, heute Zucker. Scheckerim heißt der Tag und das bedeutet nicht Schleckerin, sondern mein Zucker. Das nämlich sagt die Besitzerin des Bäckerei-Imbiss mit Hummus, Börek und Brezeln beim Abschied lachend zu mir. Tamam Şekerim. Die Dilltasche ist schuld. Genau wie das Schreiben, hab ich sie dabei, die Tasche mit den gesammelten Worten, und in entsprechender Umgebung, etwa Imbiss in dem Türkisch wohnt, kommen mir Worte wie tamam über die Lippen, springen von der Zunge über die Lippe nach draußen auf sämtliche anwesende Trommelfelltrampoline. Schwingen mit Ant/wort in mein Ohr zurück.
Samstag, der 2.3. 2024 (children)
Lese Nachrichten im Augenblick-Sessel. Mein Kinn rastet auf der Handpalme ein. Lese das Wort Wort "Mehlmassaker".
"Die Sprache ist daher nie unschuldig ..." (Tanja Maljartschuk).
"I wish children didn't die." schrieb Ghassan Kanafani einst. Ja.
Den Kindern in Kriegen einen Vogel-Engel, der Zauber-Sterne aus Lieblings-Gefiedern schüttelt, wann und wie immer sie es wünschen, der Keks ist und Lied und Decke, einen Engel-Vogel Geschichten zum Trost erzählend, zum Segen, und Ängste einsammelt, mit seinem Schnabel aufpickt und sie ans Himmel-Gedächtnis pinnt, weit weg von Kindern in Kriegen.
(Inspiriert durch das Friedenstier von meiner Kollegin Constanze von Kitzing auf Insta zu bewundern.)
Sonntag, der 3.3.2024 (wortloss)
ich
heute
wortloss
(wortloss, geborgt von Tomer Gardi ("Broken German", Roman, Droschl Verlag)
Montag, der 4.3.2024 (Montagsgedicht)
Ich denke hier
und schreibe mir
Mein Blatt ist aus
Kapier-Papier
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