Tagebuchstaben 2
jeden tag schreiben =tagebuchstaben. ist vielleicht nichts besonderes für eine kinderbuchautorin. klar. aber auch außerhalb meiner projekte schreibe ich möglichst jeden tag. morgens, gleich nach dem aufwachen, mit der hand, oder unterwegs ins kleine roadbook, um zu sammeln, und um "to find out what i am thinking" uvm. das material landet zb in montagsgedichten, artikeln oder vorträgen und ab jetzt in "tagebuchstaben". ich bin so gespannt wo mich das hinführt.
Dienstag, 2.1.24 (Elster)
Jetzt ist das neue Jahr da. Der Dezember mit seinem Leuchten und Lichtern ist vorbei. Trotzdem hab ich einen schönen 1 Januar gehabt. Ich habe nämlich jetzt einen Vogel des Jahres.
Der erste freilebende Vogel, den du am Neujahrestag siehst (nicht hörst), ist dein Omen für deine kommenden zwölf Monate, schreibt die „Vogelguckerin“ Silke Hartmann auf ihrem Blog. Das Vogel-Orakel 2024 • Vogelguckerin
Die Elster isset. Wie schön, wo ich doch 2023 Rabenvogelfan geworden bin.
Mittwoch, der 3.1.24 (Achselzucken)
Empathie= Einfühlung. Während ich Bilder in den Nachrichten Hochwasserbilder sehe, steht meine Kollegin Anne Behl, sie hat 2 meiner Bücher aufs Wunderbarste illustriert Kaugummi und Verflixungen - Picus Verlag, mit ihrer Familie knöcheltief im Wasser in ihrer Wohnung. Erst als sie dieses Bild auf Insta veröffentlicht hat, und von ihrer sehr unerfreulichen Weihnachtswoche erzählte, erreichen die Überschwemmungen so richtig meine Aura. Weil ich sie kenne, fühle ich mich ein und erkenne die Gleichzeitigkeit von wunderbar ruhiger Zwischenwoche für mich und schrecklichen Umständen für sie. Es tut mir leid. Ich fühle mit ihr. Vorher war es anders. War es wie das „aberige“ Achselzucken des weißen deutschen Kollegen zur Katastrophe in Israel/Palästina. Zu den toten Zivilisten. Man kann das alles nicht vergleichen. Aber fehlende Empathie auch bei sich selbst aufzuspüren, Achselzucken zu konstatieren und vielleicht die Löcher zu füllen ist für unser Zusammenleben wichtig. Empa-Tiere werden. Mit Einfühlern. Und Mitfühlern. Außerdem:
„Empathy ist he most radical of human emotions.” (Gloria Steinem)
Donnerstag der 4.1.24 (Geschichten)
Das erzählende Kinderbuchsegment schwächelt, hat mir neulich jemand geschrieben. Oder war es die Elster auf dem Balkon? Plopp, da ist sie wieder, die Kinderbuchwelt. Das Bedürfnis nach Sachbüchern für Kinder wird immer größer. Eltern und Schule möchten gern Bücher, in denen das Kind „was lernt“. Und das, was da zu lernen ist, soll am besten im Titel oder im Klappentext formuliert stehen. Ich finde Kindersachbücher auch toll, vergessen wir aber nicht, dass Kinder Geschichten lieben, jene, wo nicht so eindeutig bestimmbar ist, was Kinder lernen können. Jene die zum Abtauchen bestimmt sind, zum Begleiten einer Held*in, zum Erleben eines Abenteuers mit der Fantasie. Ich denke, Kinder lernen dabei immer etwas, aber wir können ja leider nicht in die Köpfe schauen um diese These final zu verifizieren. Ich halte diese Entwicklung auch für verarmend.
Eine ebenfalls schreibende Freundin neulich: Die Kinderbuchwelt darf keinesfalls ausschließlich eine informierende und belehrende Welt werden. Nein, bitte nicht.
Donnerstag 5.1.24 (Knüpfungen)
Gestern zwei nette Nachrichten. Wegen der Absage im Dezember. Die eine schreibt: "Es es das Jahr voller Drachenenergie. Du wirst schon sehen, es wird sich ein neuer Weg auftun.“ Eine Kollegin schreibt: „Schockierend. Ich glaube, aber es wird besser für dich!“ Die Tatsache, dass jemand an mich glaubt, tröstet. Denn egal wie lange du schon im Geschäft bist, eine Absage lässt dich an dir zweifeln. Da hilft nur weiterschreiben, weiterknüpfen.
AUTO-POIETISCH. ANKNÜPFBAR. KNOTEN LÖSEN. DANN WEITERKNÜPFEN. Swantje Lichtenstein "Am Ende der Weissheit"
Freitag 6.1.24 (Wortverwehungen)
Sehe Buchstabengarne. Angle Biogra-Fische. Glimmt Zimt im Wasser. Morgenblick auf den Himmel und die Wortverwehungen dort.
Allerdings fallen mir Steuerbelege ein. Muss sie weiter sortieren. Gestern dabei den Tupodcast mit Mirrianne Mahn gehört. So eine kluge beherzte Frau. So mutige (und freche) Vorstöße. Nicht Minderheiten seien wir, sondern sehr sehr viele, damit meint sie die marginalisierten Gruppen. Es gäbe keine Mehrheitsgesellschaft mehr, sondern lediglich eine Dominanzgesellschaft. Wenn sich also alle marginalisierten Gruppen zusammentäten…
Ich hab auch sehr viel gelacht. Einfach zu schön, wie Mirrianne erzählt, dass sie bestimmten weißen Herren-Herren in der Politik ein Dorn im Auge ist, ein kraftvolles Ärgernis.
Samstag 7.1. 24 (ocean)
Are you sure, you don’t carry the ocean/ in your chest?
(Upile Chisala, Soft Magic)
Aus lauter Sehnsucht nach dem Meer hab ich jetzt schon einen Urlaub in Griechenland gebucht. Immer wieder frage ich mich, wie es wohl war, am Mittelmeer aufzuwachsen, in all der Helligkeit? Nie habe ich mit meinem Vater über so etwas gesprochen. Als ich noch mit ihm reden konnte, hatte ich diese Gedanken nicht. Vielleicht aber trage ich ein Stück Ozean in meiner Brust? Ein Stück der Bewegungen und des Geräuschs, der Meersprachigkeit? Bin nicht sicher, dass nicht.
Sonntag der 8.1.24 (samtlampe)
nimm ein wort
mit fell eins hell
zünde der welt
samtlampe
Montagsgedicht 2'24 (alle anderen auf instagram@andreakarimee)
Magst du #tagebuchstaben ? Dann lass mir doch einen Kommentar da.
Liebe Andrea,
ich habe dich erst vor kurzem entdeckt, und ich muss sagen, deine Wortschätze, Ansichten und Bücher haben mir eine ganz neue Welt eröffnet. Sie haben mein Interesse an Sprache, ihrem Klang und ihren Bildern neu geweckt. Ich freue mich sehr darauf, noch mehr von dir zu lesen.
Herzliche Grüße,
Marion