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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

AutorenbildAndrea Karimé

Weltwörter. Von Schreibwinter bis Yom.

Aktualisiert: 18. Apr.

tagebuchstaben 13



Dienstag, der 12.3.2024 Welt

Allein unterwegs zu sein, und immer weltverbunden sein, gerade weil man allein unterwegs ist. Das ist einer der Gedanken, die Sarah Diehl in ihrem Buch "Die Freiheit allein zu sein" auffächert. Dazu fällt mit ein, dass ich just an dem Tag, als ich mich zu ihrer Lesung nach Erftstadt aufmachte, Beweise für diese These erlebte. Wegen Ausfall der Regionalzüge stopfte ich mich in einer der Straßenbahnen Richtung Bonn. Ein erschöpft weinendes Baby, das just aufhörte als ich mich über den Kinderwagen beugte. Es schwieg und "wunderte" mich einige Minuten an. Dann lächelte ich. Das Baby starrte mich weiter an. Nach einer Weile des stummen Blickkontakts ließ ich ein paar Wörter von meiner Zunge purzeln. Da lächelte das Baby. Bis zum Ausstieg unterhielten wir uns auf diese Weise.

Ein Grundschulkind, das die Szene beobachtete erzählte mir unvermittelt von seinem Schulweg mit dieser Bahn.

Später landete ich in Hermühlheim, einem lausigen Bahnhof. Natürlich erreichte ich den Bus nicht mehr, da eine überdurchnittlich gestopfte Bahn immer zu spät ist, und musste eine knappe Stunde warten. Dazu spazierte ich in eine Frittenbude, wo ich eine Frau kennenlernte, die mir anschließend half den Veranstaltungsort zu finden, da sie in der Gegend wohnte.

Meine Weltverbundenheit erfahre ich in öffentlichen Verkehrsmitteln immer wieder.


Mittwoch, der 13.3.2023 (Gefieder)

Gucke raus, gucke Elster und Amsel in vor spuckigem Himmel. Elster schaut mich vom Drübendach an. In schwarzweißem Prachtkleid. Ich denke an Freitag. Meine erste Lesung nach der Pause. Sie läutet das Ende der lesefreien Zeit ein. Gemischte Gefühle. Die Schreibzeit mit der Alle-Kinder-Bibel 2 und den tagebuchstaben war trotz der Schreibkrisen sehr schön. Das einzige Schöne beinahe in all dem Wahnsinn. Das Schreibgefieder und – gezwitscher. Hunger in Gaza.




Donnerstag, der 14.3.2023 (Geschichten)

Du bist als Autorin immer im Dialog mit der Welt. Und mal stockt es, mal fließt es, meint Barbara Peveling am Telefon. Und das woraus ich schöpfe und immer geschöpft habe, nämlich der libanesisch-deutschen (Sprach-) Kosmos, wird aktuell total in Frage gestellt und in Deutschland strukturell eher abgelehnt.

Wie soll ich da schreiben? Aber ich mach trotzdem weiter. Hab den Blick auf das gewünschte Ergebnis mit einer Schreib-Gardine, zugezogen. Ich ringe trotzdem immer wieder um den Fluss. Mit der Frage der Hoffnung. „Geschichten sind bedeutsam./ Sie halten uns am Leben, halten unser Leben lebendig./ Wie es war, wie es sein wird./ Das ist die Arbeit, die ich tue:/ Geschichten schaffen, die unsere Leben retten." (Toni Cade Bambara gefunden in: Joana Osman. Wo die Geister tanzen.)


Freitag, der 15.3.24 (Yom)

Wie immer ist der Hotelschlaf suboptimal. Konnte lange nicht einschlafen. Gelesen Joana Osman bestimmt bis 3 Uhr. Wecker: halb 8. Haarnester zerzaust. Sonne quillt ins Zimmer und Müllmannkrach. Vogelgedanken aber auch. Verwandtschaft von Hebräisch und Arabisch. Yom heißt Tag. Auf Arabisch und auf Hebräisch. Verwandtschaft der Seelen in einem Welthaus (Beyt) an einem Welttag (Yom). Taghaus. Hab die Bürste vergessen und schreibe die tagebuchstaben mit Mütze, um die Haare irgendwie bühnenfertig zu glätten. Ich grüße mich mit einem Stift und einem Kaffee. Latscho diwes ist Romanes und bedeutet: Hallo, Guten Tag. Und gleich ist Lesung im Frankfurter Literaturhaus.

Samstag, der 16.3.2024 (Schokohund)

Ich so: Erste Lesung 2024. 99 Kinder. Buch Planetenspatzen. Mindestens 20 Sprachen anwesend. Ich so: Wörter vergessen. Sprache Paschtu vergessen. Hilfe! Lehrerin so: Können wir Sie auch mal an unsere Schule locken? Ukrainische Begleiterin so (auf Englisch): Ich hab nichts verstanden, aber alles verstanden. Kind so vor der Lesung: mein Lieblingsgedicht ist Schokohund. Kind so: Ist Vogel nur dein Lieblingswort oder auch dein Lieblingstier? Autorin so: Gute Frage. Kind so: Wie viele Lieblingswörter hast du? Autorin so: Hmmm. Benno (Junges Literaturhaus) so: Auch Erwachsene werden an den Büchern von Andrea Karimé Spaß haben. Und: Wenn Kinder so gesehen werden ... Es war festlich, es war lustig, es war toll.

Sonntag, der 17.3.2024 (Begeisterung)

„Ich entschied mich, ganz auf meine Begeisterung zu vertrauen“, schreibt Elizabeth Gilbert in „Big Magic“, einem Buch über die Magie des Schreibens. Begeisterung gegen die „Hungergeister“, die mich mit anderen vergleichen, die auf Preise aus sind, die die Welt und die Arbeit schlecht machen.


Montagsgedicht 18.3.2024 (Schatten)


schattentruhe


mit mir teilt

seinen schatten

winzig oder lang

kühl und in aller ruhe

hamsayeh der nachbar

mit der schattentruhe     



                   				                    hamsayeh=nachbar (farsi:,mit dem ich den schatten teile همسایه   wortgeschenk von mehrnousch zaeri esfahani)                                           
(Gedicht aus: Andrea Karimé, Planetenspatzen ausgezeichnet mit einem Stipendium der Kunststiftung NRW,mit freundlicher Genehmigung des Picus Verlag Wien, Premiere 23.6.22 Poesiefestival Berlin)

 




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