Mein Tagebuch/ Wochenbuch
Diesmal mit spähenden Krähen in der Nähe, Wolkenschichten brüchig wie Yufka und aufrichtigem Wortbeistand von Juliane Blech und Max Czollek. Tagebuchstaben.
Dienstag, 18. Juni 2024 (Gleichgewicht)
Noch immer aus dem Gleichgewicht halte ich mich an Gedichten fest. Aufrichtiger Beistand kommt von Juliane Blechs „BLAUDUNKEL“ und Max Czolleks „GUTE ENDEN“.
„dort/wo ein wort/ was erzählt/ ist mein zuhause“, schreibt Juliane Blech und Max Czollek: „hab ich recht angst zu haben/ hab ich angst recht zu haben/...“.
Da zieht ein neues Wort ins „schönste Zimmer in meinem Kopf“. Es flatterte vom Beet meiner Mutter durchs Telefon und verband mich mit meiner Heimat Kassel. „Weißt du, wie man Strünkchen zubereitet?“ Ich muss lachen. Nie gehört. Kassler Strünkchen, auch Schlupperkohl genannt, sind eine Variante des Romanasalat. Alltag, Kochen, auch ein Geländer. Ich setze libanesischen Reis mit Nüdelchen auf.
Mittwoch, der 19. Juni 2024 (Satz)
Mir fällt auf, wie erschreckend häufig ich den Satz höre: Hab ich gar nicht mitbekommen. Mir fällt auf, dass der Satz mir bekannt vorkommt. Hab ich gar nicht mitbekommen. Und wie bedrohlich dieser Satz ist, für Minderheiten, Verfolgte, Zielscheiben. Gefährlich abgeknicktes Land. Wer still ist und nichts mitbekommt, kann ggf. auch ohne gewisse Herzkammern weiterleben. Weil Sagenichts die Mehrheit heißt. Kuschlig ists außerdem in der Sagenichtsmasse, in der Braun so schön gedeiht. Davonhabichgarnichtsmitbekommen, heißen die meisten von ihnen also mit Vornamen.
Donnerstag, der 20. Juni 2024 (Waage)
Dünn und brüchig wie Yufka, der türkische Blätterteig, liegt eine Schicht Wolken überm Blau. Yufka bedeutet dünn, zerbrechlich, brüchig und so ist auch meine Stimmung, seitdem ich begriffen habe, dass Nazideutschland längst wieder da ist. Mein Freund T. schickt mir eine Wähler-Graphik seines Orts und schreibt: Ich bin von Nazis umgeben. Die Schülerin M. überreicht mir ein Kärtchen und sagt: Das ist mein Friedenswort für dich. Ich lese: Stift. Unmenschlichkeit neben Liebe. Auch dass Heike Funke in ihrer Laudatio schreibt: „Besondere Erwähnung fand Karimés Engagement für die Leseförderung von Kindern, denen Literatur und Poesie nicht in die Wiege gelegt wurden. Ihr herausragender Einsatz in der kulturellen Bildungsarbeit trägt dazu bei, dass Kinder in Vielfalt und Demokratie zusammenleben und zusammenzuleben lernen“, versucht Gegengewicht auf meiner Seelenwaage zu sein.
Freitag, der 21. Juni 2024 (Rotkehlchensang)
Rotkehlchensang will sich in meine Zeilen weben. Unbedingt. Dana Vohwinkel wird in einer Lesung gefragt, ob sie bei Lesungen oft nach dem Holocaust gefragt wird bei den Lesungen. Er denke nicht immer dran. Dana, in wohltuender Mischung aus Klarheit, Beherztheit und Charme: „Ich frage mich, wie man nicht immer dran denken kann. Ich denke jeden Tag daran!“
„Oh, hab gar nichts mitbekommen/ im Dümpeltümpel rumgeschwommen/ Tote? Hier? Das wusst ich nicht!“/ (sowas nervt selbst mein Gedicht!)
Samstag, der 22. Juni (Mutter)
„grammargirls buchstabieren macht mit wörtern machen magie“. Uljana Wolfs neues Buch MUTTERTASK ist eine Fundgrube an Wortmagie. Weibliche mütterliche Wortmagie. Sie verwandelt heute die Regentropfen in Perlenketten und winzige Wahrsagekugeln.
Sonntag, der 23.6.24 (Krähe)
Schwalben flackern im Hinterhof. Bedeutet das was? Eine Krähe späht in meine Nähe. Mit dämmerndem Augenschwarz. Ich spähe zurück. Ein Teil der Welt ist nun diese kleine Spähsphäre. Vielleicht, weil ich das Wort spähen schreiben wollte. Vielleicht, weil die Krähe dies bemerkte. Und deshalb auf dem Dach mir gegenüber gelandet ist.
Montag, der 24.6.24 (Montagsgedicht)
ein taschakor flog über mir
in einer wolke voller ohren
und einem winzigen tuschelchor
ob der mir frohe gedanken sang?
ich dankte laut und summte lang
ins wolken-taschakor-ohr
taschakor= danke (farsi/dari تشکر)
Quelle: Andrea Karimé, Planetenspatzen. Kindergedichte. (Picus Verlag Wien)
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