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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

„... und Seele heißt Ruh" - tagebuchstaben 22

Aktualisiert: 21. Mai

tagebuchstaben 22. Meine Woche in Notizen und Notaten. Mit "lüftelnden" Assoziationen, Anstößen von Elke Erb, Regen, Mond und Aprikose, gesichteten Baumseelen, einer Tante namens Ruh und Pfingsten, dem Zungenfest im Spätfrühling.


Eine Frau mit einem grünen Kleid füttert eine Schildkröte.
Tante Ruh aus "Antennenkind"

Dienstag, der 14.5.24 (Weide)

Ach, die Amsel in meinem Kopf. Oder im Hof? Ich denke „Durst als Gefieder /Asche aus Glas“. (Unica Zürn) Warum, weiß ich nicht. Nach einem Besuch neulich bei meiner Freundin S. in der Nachbarschaft weiß ich aber, wie leise mein Amselfon ist. Bei ihr: Kakophonie der Vögel, Bäume direkt vor dem Balkon. In meinem Hof geistern nur ewig die Seelen von Pappel und Weide. Zertrampelt von Haus und Hof der längst nicht mehr neuen Nachbarn. Ach, da ein Spatz mit Durst als Gefieder.

 

Mittwoch, der 15.5.24 (Tag)

Mottenfunde im Tag, der einer von denen ist, an dem man schon am Mittag erleichtert weiß, dass man ihn ggf. am Ende des Tages zusammenfaltet wie eine Zeitung und zum Altpapier legt. Wenn Motten so gehäuft auftauchen, wird dein Tag nicht mehr, wie er sein soll. Du weißt schon, er wird Herzschlägen hinterher holpern. Das Herz macht weiter, das tüchtige Herz, du aber nicht mit. Das Herz macht Hintergrundmusik zu einem verschobenen Tag, wie ein Taxi, das immer weiter fährt, ungeachtet der aus dem Rhythmus geratenen Unterhaltung auf der Rückbank. Mein Tag tagt weiter, obwohl ich den Überweisungsschein verloren, Röntgentermin versäbelt, Schlüssel stecken gelassen, deshalb zu spät zur Verabredung gekommen, Freundin im Lokal nicht gefunden, allein gegessen hab hab hab ... Ich beschließe, nicht zu versuchen, noch das Beste aus diesem Tag zu machen, sondern gehe heim und lege mich mit einem kühlen Wasser ins Bett, klappe den Laptop auf und schreibe Tagebuchstaben, und das ist natürlich dann das Beste.

 

Donnerstag, der 16.5.24 (lüftelnd)

„Ich träume Knarren karren. Sonniger Morgen, ich träume                                                                        Karren knarren.“ (Elke Erb)

Öffne das Fenster, Nachbarrauch in mein Schlafzimmer. Mülltonnen tanzen Polter, anderer Nachbar sägt im Kreis. In all das scheint Sonne und karrt Knarren. Weil gestern noch bei Abend zu Elke Erb gewesen. Heldin des Denkens und Dichtens. Immer Rand, immer Kleinverlage. „Wie alle, die originell denken und schreiben“, so Steffen Popp gestern. Und Elke Erb:

„… in assoziativen Lüften

                      lüftelnd“,

wie so mottiger Tag doch noch ein richtiger Tag wird. Durch ein Wort oder durch assoziatives „Wörter-Lüfteln“. Oder beides.

 

Freitag, der 17.5.24 (Milchglas)

Eine Milchglasscheibe liegt auf dem Himmel. Der Himmel ist unscharf. Vielleicht „Asche aus Glas“. (Unica Zürn again). Die Welt wackelt stark. Der mir sehr lieben deutschen Verwandten ist ein wichtigster Punkt in der Politik, „die kriminellen Ausländer auszuweisen“. Vorstufen von Entsetzen und Furcht in mir. Ausländer? Wer ist das genau? Und welches deutsche Problem wäre damit gelöst? Für diese Forderung möchte sie aber nicht rechts verstanden werden. Sie erkennt nicht, dass auch ich in dem Gebäude, in dem eine solche Forderung ein Büro hat, negativ verwaltet werde. Ich bin nicht immun, nur weil ich eine deutsche Familie habe und "anständig" bin. Deshalb sage ich nur: Ich wähle eine Partei, der die Demokratie wichtig ist.

Kleine Schwalben am Balkon mit Singsanggespinsten. Ich halte mich am Schreiben fest. Abgabetermine für Stipendien und einen Preis. Abgabetermine für ein kleines Essay. Mindestens ein Gedicht pro Woche, das ich am Sonntag hier veröffentliche. Ich halte mich am Schreiben fest, während Ausblenden meiner Realität und bedrohliche Vereinfachungen meine Familie erreichen und sich noch mehr in mein Leben verfugen.


Samstag, der 18.5.24 (schön)

Eine schöne Rückmeldung zu meiner Arbeit.
Aber das hat meinen Tag wieder poliert.

 

Sonntag, der 19.5.2024 (Ruh)

Pfingsten ist ein Zungenfest. Es regnet Sprachen und Klänge. Regen, Aprikose und Mond, das sind drei Hauptfiguren aus drei Sprachen in meinem neuen Text. Ich liebe es, meine Texte vom Klang anderer Sprachen poetisch durchwirken zu lassen. Was bedeutet Regen in 100 Sprachen?  Wo regnet Regen, wo fällt er? Wo ist der Mond weiblich, wo männlich? Gibt’s Homonyme aka Teekesselchen? Und was hat das alles mit Kinderliteratur zu tun? Jeder Text ist ein vielschichtiges Gewebe. Auch ein Kindertext. Weil ein Wort allein so vielschichtig ist. Wie verschieden gemusterte und dennoch blicknichtdichte Gardinen, die hintereinander hängen. Und dann kommen noch Wind und Licht, die ihre Perspektiven hinein hauchen. Von Sprache umweht, also eine Geschichte. Und warum habe ich die Tante in „Antennenkind“ Tante Ruh genannt? „Ruh heißt Seele/ und Seele heißt Ruh/“ (Emine Sevgi Özdamar in „Mutterzunge“)

Ein Textausschnitt. (Alle-Kinder-Bibel, Verlag Neukirchen)
Aus der Pfingstgeschichte der Alle-Kinder-Bibel

Montagsgedicht (Meise)


es tumert*                                                             

was tumert da so leise?

und singt mir eine weise?

die krumelig gedeiht


die unsichtbare meise  

auf meiner ohrenreise

heißt einfach glücklichkeit


                                         

(*es tumert= gern, mit glücklichkeit

amazigh/tamazight, ⵙ ⵜⵓⵎⵔⵜ)

Gedicht aus: Andrea Karimé, "Planetenspatzen", Picus Verlag Wien




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