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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

Trotzfahne und Babyblau. Tagebuchstaben 65

  • Autorenbild: Andrea Karimé
    Andrea Karimé
  • vor 2 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit



Ein Kind mit trotzigem Gesicht. Illustration von Anna Lisicki Hehn aus der Alle-Kinder-Bibel 2.

Tagebuchstaben

(Hier schreibe ich nahezu täglich ein Notat und veröffentliche mehrere wöchentlich als Blogartikel namens #tagebuchstaben. Biografisch, unsystematisch und poetisch. Vom Schreiben und Leben. Vom Arbeiten als Kinderbuchautorin (of Color) und Dichterin. Am Ende jeder Woche findest du ein Montagsgedicht.)


In dieser Woche schreibe ich in den Nachwehen einer schlimmen Exklusionserfahrung, vom Mädchen namens Stadt und mit „Das All im eigenen Fell“, auf einer kleinen ersten Lesereise nach hartnäckiger Krankheit und am Ende in der Freude von sich auf Empowerment reimender Poetry. Mit Montagsgedicht. tagebuchstaben

 

Dienstag, der 8.4.2025 (Babyblau)

Die Sonne scheint maßlos. An Babyblau. Der Himmel badet. Aus dem sechsten Stock kann ich in ein babyblaues Himmelsschaumbad springen. Zumindest können das meine Gedanken. Ich probiere Lesereise. Eine kleine. Eine Übernachtung. Martina hat alles wunderbar organisiert, dass ich schonend von A nach B komme. Da kann mich die Turnhalle auch nicht mehr schocken, in der die Lesung stattfindet. Ohne Bilder, denn dafür ist es zu helle. Außerdem schwingt noch immer das Probenwochenende in mir nach. Auf das Geduldigtste leuchtete Superohr Michael Reif mit uns in die kleinsten Stellen des Anne-Frank-Requiems von Whitbourne fein hinein. Ich saß und sang auf der Wunderbank von Annas klarer Mezzostimme und Gregors hellen präzisem Bariton.



Mittwoch, der 9.4.2025 (Exklusion)

Ich freu mich so sehr über das ideale Hotelzimmer hier in Paderborn. Folgende Kriterien muss es erfüllen: Platz genug am Boden für Yoga, schönste Aussicht, ruhig. Im Zweifel reicht aber Nummer 3. Hier ist alles da. Entschädigt ein bisschen für die stechende Exklusionserfahrung letzte Woche live und in Bildnachwehen. Ja, sowas passiert in den „besten Familien“. Niemand merkt es und Outcalling ist never good. Nur so viel: Die letzten vier Wochen waren physisch und psychisch die seit langem schwierigsten. Aber auch das ist Entschädigung: G. 9 Jahre, wie er zu seiner Mutter sagte:  „Andrea ist halt nicht wie andere Erwachsene. Die sieht alles mit Fantasie.“ Nur das bringt mich weiter. Exklusion wird es immer wieder geben. Sogar aus der Community. Wertschätzung hilft gegen das verunsichernde Unwohlsein. Zum Beispiel die Poetikdozentur in Schwäbisch Gmünd. Bringt nicht dickes Fell, sondern das „All im eigenen Fell“.

 

Donnerstag, der 10.4.2025 (Medina)

Sieben Birken empfangen mich mit einer hellen Umarmung an der Nordbahntrasse in Wuppertal. Sie schauen mich fragend an. Tragen Abendschein und windiges Lächeln. Sagen „Buk“. Buk ist ein albanisches Wort. Bukbukbuk, sagen die Birken leise. Ich lasse sie in mein Book schauen. Weil ich kein Albanisch kann. Doch die Birken wollen nicht lesen. „Buk heißt Brot.“ Brot ist Buk. Ein Mädchen namens Stadt brachte mir das Wort nach der letzten Lesung vorbei. Außerdem: ein gehäkeltes Lesezeichen, Kekse und Marmelade in einer von Hand dekorierten Papiertüte. „Kommst du noch mal wieder?“, fragte sie. „Dein Buch ist schön!“

 

Freitag, der 11.4.2025 (Kopf)

Wieder zu Hause. „My favorite place is my Head”, schreibt Yoko Ono. Ihr hätte “Das schönste Zimmer in meinem Kopf” vielleicht gut gefallen. Gestern eine echte Empowerment-Situation in Wuppertal. Saß in der Konferenz zum „Materialbuch Alle-Kinder-Bibel“ neben Sarah, einer jungen Schwarzen Theologin. Wir in der Unterzahl, 6 PoCs von 25 Teilnehmer*innen. Schnell ist der Fokus: Wir müssen der weißen Mehrheitsgesellschaft Rassismus erklären. Das sind die üblichen Prozesse. Umso schöner plötzlich die Erkenntnis: Poesie reimt sich auf Empowerment. Sarah sagt, wie sehr sie die Poetry-Teile mag. Kein Wunder. Spielt doch Poetry in der Black und „migrantischen“ Community schon seit einigen Jahren eine besondere Rolle. Es ist ein eigener Raum geworden. Ein Klang, ein „Ocean in your chest“, so Upile Chisala, die es leider nur auf Englisch gibt. Auch eine Schwarze Dichterin. Also wird im "Empowerment-für-BIPoC-Kids-Kapitel" des Materialbuchs Poetry eine tragende Rolle spielen.


Samstag, der 12.4.25 (12von12 im April)

12 Fotos und mehr zu diesem Tag findest du hier.


Sonntag, der 13.4.2025 (Watte)

My Head ist Wattehaus. Watte auf Englisch angeblich Cotton wool. Nun ja. Baumwollewolle. Wäre ja was. Baumwollewollehaus. „Watte friedvoll, verbindet mich und die Welt“, so Raphaelle Red. Ich denke an meinen arabischen Urgroßvater. Sein Kopf schaute aus dem Fenster. Gerahmt vom Olivenbaum vor dem Haus. So ist der „Onkel im Baum“ entstanden, aus „Tee mit Onkel Mustafa“. Evergreen meiner Kinderbücher. Mein Urgroßvater hob die Hand. Die Hand dirigierte ein Lächeln aus dem Gesicht.

 

Montag, der 14.4.25 (Hoffnung)


Trotz Rotz Trotz

 

Ich hab eine Trotzfahne.

Die ist rotzig und trotzig.

Und sie heißt Hoffnung.

Ich halte sie hoch.

 

Kein Schlimmstes kann mich abhalten.

Keine Strafen keine Schreie

keine Gemeinheiten keine schlechten Noten

keine Angst keine fiesen Menschen.

 

Weil ich weiß

dass Gott bei mir ist

und mein Bestes will.

 

Ich habe eine Trotzfahne.

Die ist rotzig und trotzig.

Und sie heißt Hoffnung.

Ich halte sie hoch.

 

Mein Gebet ist sagen reden

mit oder ohne Wort.

Lachen Weinen Schniefen Miefen

Husten Prusten Gurgel Murgeln

Glucksen Mucksen Klagen Fragen

Rotzen Trotzen ist mein Gebet.

 

Ich hab eine Trotzfahne.

Die ist rotzig und trotzig.

Und sie heißt Hoffnung.

Ich halte sie hoch.

 

 (Ausschnitt aus meinem Gedicht in der Alle-Kinder-Bibel 2)




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3 comentarios


Mascha
vor 2 Tagen

Guten Morgen :) auszer cotton wool gibt es auch noch die Wolle von Pappeln. Da, wo viele Bäume sind, fliegt sie im Frühsommer herum, bedeckt alles mit ihrem weichen Schnee. Ich mag das sehr. Da kommen auch poetische Gedanken...

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Mascha
vor 10 Stunden
Contestando a

Hier habe ich Fotos davon im Blog, werde ich Frühsommer unbedingt einmal wieder welche machen)

https://maschas-buch.blogspot.com/2013/07/pappelsamen-auf-einer-brucke-seeds-of.html

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