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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

Tagesregal. tagebuchstaben 42

Diese Woche tagebuchstaben mit einer Anspuckung, einem zauberhaften Ü, dem Weltkindertag, einem Abend voller Verben und einem Friedenskonzert.

Eine Frau mit einem Schild.
Weltkindertag mit der Lesewelten-Initiative

Dienstag, der 18.9.24 (gül)

Mich überraschen lassen von den Ideen der Kinder. Zum Beispiel von der „Regenüberraschung“ oder dem Vogel, der mit Zauberwort „gül“ ein Schloss aus der Erde wachsen lässt. Gül heißt Rose. Ein Rosenvogel war das wahrscheinlich. Geschlüpft aus einem Ü.


Mittwoch, der 18.9.24 (Äste)

„Der Tag ist ein Zuviel mit Ästen“, so Marie T. Martin. Ich brauche einen Vormittag, um die Lesung vorzubereiten, da es die Abschlusslesung des Kinderliteraturstipendiums ist, und ich das nicht aus meinem Ärmel schüttele. Und dann kommen die Schüler*innen so gar nicht ins Literaturhaus. Die Lehrerin hatte „oh, vergessen abzusagen!“ Dann ein Telefonat, wo ein Veranstalter um 50 Euro feilscht, für eine Lesung, zu der ich eh fünf Stunden hin und fünf Stunden zurückfahren muss. Dieser Tag ist nichts für mich. Ich hole ihn aus dem Einkaufswagen und stelle ihn ins Regal der Woche zurück.


Donnerstag, der 19.9.24 (verstörend)

Was für ein wundervoller Abend im Hallraum von Barbara Yelins Lesung. Sie hat die Zeitzeugin Emmie Arbel, Holocaust-Überlebende, begleitet, ihr zugehört und sie gezeichnet. „Die Farben der Erinnerung“ heißt die wundersame, eindrückliche Graphic Novel, die dabei entstanden ist. Natürlich gab es wieder verstörende Fragen aus christlichem Publikum. Etwa: „Hat Emmie Arbel denn nie ihre verletzliche, schwache Seite gezeigt?“ Warum so eine Frage? Warum so über eine Holocaust-Überlebende sprechen? Es gibt so vieles, was ich am Menschlichen nicht nachvollziehen kann.


Freitag, der 20.9.24 (Libanon)

Weltkindertag. Und eigentlich müssten viel mehr Leute weinen. Die Welt müsste doch weinen. Weil Kinder überwiegend egal sind. Vor allem den Männern, die Krieg machen. Und denen, die Terror verbreiten. Ich sitze mit meiner israelisch-britischen Singfreundin in der Probe. Ich weiß, niemand um uns herum denkt an den Krieg und den Terror in Israel, Libanon, Palästina, sagt sie. Niemand sonst muss das.


Wenn du dein Frühstück zubereitest, denke an die anderen. /Vergiss nicht die Körner für die Tauben. //Wenn ihr eure Kriege führt, denkt an die anderen. /Vergesst nicht jene, die Frieden suchen.



Samstag, der 21.9.24 (Verbe)

Mais le Verbe de Dieu demeure éternellement, singe ich am Abend ohne Schnee, aber voller Verben. Ich schreibe das, weil ich im Probenraum, dem skurril klimatisierten PZ des Humboldgymnasiums friere. Frank Martin hat das Stück „In Terra Pax“ zum Ende des zweiten Weltkriegs uraufgeführt, als Auftragswerk des Genfer Radios. Ich friere und singe und hoffe.


Sonntag, der 22.9.24 (Spucke)

Eine Frau hat mir hinterher gespuckt. Ja gespuckt, nicht geguckt. Das ist kein Druckfehler. Ein Fleck groß wie ein Spiegelei ohne Eigelb. Eine völlig unbekannte Person hat mir gegenüber Hass und Aggressionen. Ohne dass wir je in Berührung gekommen wären, greift sie mir beim Aussteigen aus der Bahn an die Jacke. Steigt kurz aus, spuckt und steigt wieder ein.


Montagsgedicht, 23.9.24

Flieg, Vogel-Engel, flieg

bring Frieden, wiege, sing Lied

sei Tuscheltier und Kuschelort

und Knusperbrot und Lieblingswort

flieg, Vogel-Engel,

flieg zu Kindern,

Kindern im Krieg



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