tagebuchstaben 18
Meine letzte Woche in kurzen Notaten, mit einem magischen Poetinnentreffen, viel Vogelsang und Wolkenwolle und herzschöne Töne von Sasha Mariana Salzmann und Ofer Waldmann.
Dienstag, der 16.4.2024 (Schnicksch)
In Hessen sagt man: Schnicksch. Andrea ist schnicksch. Aus Zucker, Prinzessin auf der Erbse. Sie mag nämlich keine Hotel-Frühstücksräume. Ich mag den Morgen im Frühstücksraum nicht. Das Tassen- und Besteckgeschrei, die Vervielfachung der Stimmen. Lieber sitze ich mit einer Kaffeetasse im Hotelzimmerbett, Kissen im Rücken, Blick auf (hoffentlich) Schönes und schreibe Morgenseiten und ziehe meinen Tagebuchstabenextrakt raus. Aber heute ist Abreisetag, und ich sitze im Erkerfenster des alten Hotelfrühstückraums in Kassel, das mitten in einen Garten gebaut ist. Ein Zaunkönig (Zauberkönig) vor dem Fenster. Stille. Nachbartisch im Rücken schweigend. Ich höre einen Blister flüstern und den Alarm des Eierkochers. All das kommt in meine Ohren. Schnicksch eben.
Mittwoch, der 17.4.24 (Hallraum)
Schwarzes Leuchten heute am himmel bis morgen. Ich denke an die gemeinsame lesung mit chantal heute in diesem von nicole geöffneten space für vielstimmigkeit. wortleuchten. verswechsel. vielleicht wird es ein wechsel der „Sätze, als wären wir Klangschalen, die aneinanderstoßen“, wie Sasha Salzmann in „Gleichzeit“ schreibt. und ich erinnere die verblüffung beim ersten lesen von Die Sonne, so strahlend und Schwarz, mein vers von irgendwann fiel mir ein. schwarz kann leuchten/ weißt du/ .. , doch ich weiß nicht mehr wohin ich ihn verlegt, vielleicht in magische hallräume geträumt wo das Schwarze Leuchten wie morgen auf heller bühne, nicht das ist was uns kindheiten und andere -heiten weiß machten, denn Sonnen Schwarz strahlen und – auch das ein fundstück aus chantals roman – Dunkelheit, die Heimat werden kann unsere verse hütet
Donnerstag, der 18.4. (Wolkenwolle)
Was ist das für ein Wetter? Erst stürmisch zürmisch, dann wieder hell sortiert: Wolkenwolle und plötzlich eiskalt? Ich möchte gern wissen, ob sich die Nymphensittiche auch empören, über die Wetterkapriolen. (Ja ich weiß es sind Halsbandsittiche, aber ich mag das Wort so gern!)
Wie findest du mit all dem einen Umgang, was derzeit passiert?, fragt mich Chantal Sandjon, die glücklicherweise bei mir zu Besuch ist.
Die schlimmen Ereignisse seit dem 7.10. haben mich schwer belastet. Und habe ich tatsächlich langsam einen Umgang finden müssen. Aber es war nicht leicht, und es heißt auch nicht, dass es mir jetzt immer gut geht. Aber ich habe einen inneren Kompass angelegt. Erstens mein Motto: Ein Tag nach dem anderen. Also nicht hochschauen, wenn du bergauf gehst, sondern nur den nächsten Schritt/Tritt ausmachen. First things first. Der Kompass zeigt außerdem auf Menschlichkeit, Demokratie, Frieden für alle, Dialog und Menschenrechte. Ich hab nichts anderes als diese Ideale! Und drittens verbünde ich mich mit jenen, die sich ebenso für Dialog und Frieden für alle einsetzen. Zu sehen, dass ich niemals allein bin mit dieser Haltung gibt mir Sicherheit. Außerdem schreibe ich Gedichte mit hebräischen und arabischen Wörtern und lasse die Problematik in meine Kinderbücher einfließen. Ich halte die Tür zu der Region, mit der ich verwandt bin, weit auf, auch wenn es weh tut. Ich hüte die Hoffnung auf Verständigung, ich gewähre ihr dauerhaft Unterschlupf. (Harbouring hope). Die Begegnung auf Augenhöhe mit den (vielsprachigen) Kindern meiner Lesungen und Werkstätten sowie sie zu inspirieren ihre poetische Stimme zu finden, gibt mir zusätzlich Kraft.
Freitag, der 19.4. 2024 (Zukunft)
Was soll nur werden, denke ich und schaue in undurchsichtiges Grau von Heute-Himmel Elsternperkussion antwortet. Ich übersetze mal mit Sasha Salzmann: „Die Frage nach der Zukunft … ist nutzlos. Um sich nicht die eigentliche Frage zu stellen, nämlich was wir mit dieser Gegenwart machen.“ Ich liebe dieses Buch „Gleichzeit“, es ist ein Vademecum für die Gegenwart mit Klage und Weinen und Hoffnung. Ja was mache ich mit der Gegenwart. Ich höre den Regen, den das Grau nun endlich ausgießt, ich habe frei. Ich schreibe Morgenseiten per Hand und tagebuchstaben in den Computer.
Samstag, der 20.4.2024 (Feedback)
Himmel: Taube + Zitronensamt eingerührt. Huuuu. Kitschverdacht. Sitze am offenen Samstagfenster und rühre Buchstaben in Papier. Nette Creme, die da entsteht. Mit Zitrone, ohne Taube. Kriege die ersten Zines der HS-Studierenden. Meine Sprachen heißt eins. Überhaupt viele Identitti-Zines. „Genau so viel Space wie ich möchte!“, sagte Judith Baumgärtner auf dem Zines-Fest Köln darüber, was Zines bedeuten. Die Rückmeldungen sind umwerfend. „Es war ein schönes Seminar, finde ich auch, und es hat mich, bestimmt auch andere, ermutigt, mehr kreativ zu arbeiten, also Empowerment für das Schreiben!“
Sonntag, der 21.4.2024 (Schnee)
Hummelsummen verirrt sich hartnäckig in meinem Schlafzimmer. Hummel in Heizung. Zahnarztbohrerklang. Was nervt sie so? Mich an meinen Vater erinnern vielleicht? Er hat heute Geburtstag. Weit weg. 35 Jahre mal 3000 Kilometer Distanzeinheiten. Keine Resonanzen. Da fällt mir das schöne Gespräch mit meiner Kassler Freundin und Geschichtenerzählerin Berit Knorr ein. Über Resonanzen, die Verwandlungskraft des Unverfügbaren und Schnee. Ein Mann namens Hartmut Rosa hat das alles zusammengebracht, um uns daran zu erinnern, dass das Lebendige (Lebendinge) nicht darin liegt, uns alles verfügbar zu machen. Wie Schnee die Welt verwandelt, gerade weil wir ihn nicht kontrollieren können. Das Staunen des kleinen Peters in „Ein Tag voll Schnee“, als er entdeckt, dass der mitgenommene Schnee in der Hosentasche verschwunden ist. Ich weiß nicht mal, ob mein Vater Schnee mochte. (Aber doch, ich erinnere das große Lachen beim Werfen von Schneebällen.)
Montag, der 22.4.2024
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