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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

AutorenbildAndrea Karimé

SCHATZTRUHE UNERWÜNSCHT! Sieben Monate lang (wieder) als Grundschullehrerin im Dienst

Aktualisiert: 3. Okt. 2020


Ich wurde Kinderbuchautorin nachdem ich 12 Jahre lang Grundschullehrerin an einer Leverkusener Grundschule war. Im Vergleich zur Existenz einer Beamtin ist das Leben als Autorin die raue See. Während ich als Lehrerin ein festes Gehalt hatte und weitere Beamtenprivilegien genoss, wie zum Beispiel die besondere Gesundheitsversorgung, hatte ich nun keine Sicherheit mehr über mein Jahreseinkommen.

Nach wiederum 12 Jahren dieser Freiberuflichkeit hatte ich genug davon, und ich beschloss zu erkunden, ob ich im Falle eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs wieder als Lehrerin würde arbeiten können.

Da ausgebildete und erfahrene Lehrer*innen überall gesucht wurden und noch werden, bekam ich innerhalb von 2 Wochen eine Vertretungsstelle für 1 Jahr. Als Angestellte an einer Grundschule.

Ich freute mich, nun erfahrener als vorher, zurückzukehren, jedoch musste ich feststellen: Ich war die Einzige. Mein Wissen war nicht erwünscht.


In meinem Blogbeitrag erzähle ich euch, wie ich Kinderbuchautorin wurde, trotzdem wieder in die Schule zurückging, wie ich den Stundenplan veränderte und warum ich auch noch ein zweites Mal nicht im Schuldienst geblieben bin. Aber man weiß ja nie.

1. Wie ich vom Schuldienst in die künstlerische Freiheit flog Ich bin nun seit 15 Jahren als Geschichtenerzählerin und Kinderbuchautorin mit Schreiben, Lesungen und Workshops unterwegs. Ich habe zwei wichtige Literatur-Preise gewonnen und bin bekannt dafür, dass ich schwere Themen wie Krieg und Flucht für Kinder in leichter, lustiger und poetischer Sprache in Geschichten webe. Meine Leser*innen und Kolleg*Innen schätzen mich für "Wortzauber" und berührende Held*innen.


Davor war ich gern Grundschullehrerin. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl schreiben zu wollen. Schon als Jugendliche habe ich gern geschrieben, und im Kunststudium entdeckte ich die Sprache als künstlerisches Material.


Eines Tages schrieb ich eine Geschichte für meine Schüler*innen als Hausaufgabe. Da sie ihnen gefiel, habe ich sie weiterentwickelt, und bis sie nach 20 Tagen fertig war, jeden Tag einen weiteren Teil als Hausaufgabe gegeben. Die Rückmeldungen waren großartig. Sogar manche Eltern bedankten sich für diese Geschichte.


"Nuri und der Geschichtenteppich", erblickte 2006 das Licht der Welt [3] Die Schule und meine Schüler*innen waren stolz. Das Buch wurde sogar für eine Projektwoche ausgewählt, und der Schulleiter hat die Anschaffung den Eltern ausdrücklich in einem Elternbrief empfohlen. Das Schreiben nahm allmählich immer mehr Raum ein.






4 Jahre später kündigte ich und begann ein Leben als Kinderbuchautorin. Meine Erfahrungen und Expertisen aus der Grundschule erwiesen sich dabei als äußerst hilfreich. Zum einen habe ich bei Lesungen ein großes Gespür für die Gruppe und kann jederzeit flexibel auf sie reagieren. Zum anderen weiß ich was an Fähigkeiten in etwa zu erwarten ist und kann das in der Planung von Schreibworkshops berücksichtigen. Vor zwei Jahren habe ich trotz aller Renommiertheit eine Vertretungsstelle an einer zweizügigen Kölner Grundschule angenommen, weil ich wissen wollte, ob ich es im Zweifelsfall noch kann: das Unterrichten. Es hat sich herausgestellt, dass ich es 1. noch kann und das es mir noch Spaß macht. Und 2. dass ich nun zusätzlich wertvolle Expertisen einer Kinderbuchautorin und Geschichtenerzählerin einbringen konnte.

Problem war nur: Das war gar nicht erwünscht!

2. (kleiner Exkurs) Was sind eigentlich grundschulrelevante Expertisen einer Kinderbuchautorin und Geschichtenerzählerin, die ich dort eingebracht habe?
  
1. Fantasie, unendliche. Das ist von Vorteil um Kinder-(texte) zu verstehen. Kinder haben oft fantastische Sprachen, die sich vor allem im Zeichen, Malen, Basteln, aber auch im Erzählen von Geschichten ausdrücken. 

2. Die Fähigkeit Geschichten aus dem Stehgreif zu erfinden und frei zu erzählen, jederzeit eine originelle Idee „verschenken“ zu können. Das fesselnde Geschichtenerzählen verhilft den Kindern zur Konzentration, Imaginationsfähigkeit, Empathie.[1]

3. Das tiefe Wissen über den sehr durchwachsenen Schreibprozess, seinen Zauber, aber auch seine Tücken zu kennen. Kinder sagen oft: Mir fällt nichts ein. Ich komm nicht weiter. „Schreibwissen“ und andere Techniken verhelfen ihnen zu einer gelassenen Einstellung und machen Mut, doch anzufangen.

4. Die Freude und Kompetenz an der ästhetischen Arbeit mit Wörtern und Sätzen. „Wörter sind meine Leibspeisen“.[2] Was mit Leidenschaft unterrichtet wird, bleibt bei Kindern hängen.

5. Eine Auseinandersetzung mit dem inneren Kritiker. Auch Kinder haben innere Kritiker beim Schreiben. Das ist doof, ich kann nicht schreiben. Das Wissen erleichtert ihnen den Umgang. 
 
6. Die Liebe zur Literatur und Poesie. Und damit auch die Fähigkeit Poesie in Kindertexten zu erkennen und zu fördern. Das Interesse und die ästhetische Praxis ebnen den Weg zum Lesen und zur Literatur.   
 

3. Der "Poesiedorn" im Auge, das Praxisbeispiel: Die „Geschichtenstunde“ in Klasse 1 als Raum für Kindererzählungen



Kurz nachdem ich also wieder als Lehrerin angefangen und eine Klasse 1-2 übernommen hatte, führte ich eine „Geschichtenstunde“ ein. Kinder lieben Geschichten. Das ist ein lesefördernder Zugang, den ich komplett ausschöpfen kann.

Ziel der „Geschichtenstunde“ war es, Kindern Appetit auf Geschichten zu machen und sie zum mündlichen und schriftlichen Erzählen und Erfinden zu inspirieren. Die Kinder waren gewohnt, jeden Donnerstag einen neuen Buchstaben genauer an Stationen zu erkunden. Mein Plan war, diese Stationen um eine Geschichtenstation zu ergänzen. Folgendes habe ich als Einstieg ritualisiert:




 In die Kreismitte legte ich meinen in vielen meiner Bücher vorkommenden „Geschichtenteppich“. Auf diesem stand eine Holzschatztruhe, die ich bereits in meiner Zeit als Grundschullehrerin verwendet habe. Darin befanden sich zwei Gegenstände zum „Wochenbuchstaben“. Zwei Gegenstände, die nicht zueinander passen, um die Fantasie anzuregen, etwa Jaguar und Joghurt.   
(Dieser Gedanke basiert auf der Idee des „Fantastisches Binom“ von Gianni Rodari.)
 


Als Einstieg habe ich eine kleine verrückte Geschichte frei erzählt, zu der ich mir vorher einen kurzen roten Faden überlegt hatte. Die Kinder haben gelauscht und gelacht und das freie Erzählen hat ihnen die Imagination erleichtert. Dann haben sie ohne große Überleitung weitere Geschichten selbst erfunden und erzählt, wie hier zu Jaguar und Joghurt.


Manche Geschichten bestanden nur aus einem einzigen Satz, andere waren längere. Danach ging es an die Stationen, von denen eine nun „Geschichte schreiben hieß!“ . Die meisten Kinder haben zuerst die Geschichte geschrieben und gezeichnet.


Ich habe alle Texte jedes Mal abgetippt. Manche Kinder diktierten mir zu ihren Bildern oder sprachen auf ein dafür vorgesehenes "Geschichtenaufnahmegerät". Wenige grobe Grammatikfehler habe ich zu Gunsten der Verständlichkeit sanft lektoriert. Am Tag darauf habe ich alle Texte ausgedruckt mitgebracht. Das machte ich deshalb, weil die Schriften noch oft nicht gut für sie selbst und andere Kinder lesbar waren. Auch vermied ich damit, dass Eltern, denen das Produkt stolz gezeigt wurde, wegen einer Fokussierung auf die Rechtschreibung, von den Geschichten abgelenkt wurden.


Mir ist klar, dass eine Lehrperson das nicht immer so machen möchte. Weil ich selbst schreibe, lagen mir die ersten Versuche der Kinder so sehr am Herzen, dass sich sie auf diese Weise wertschätzen musste. Für die Kinder war es großartig die Texte gedruckt zu sehen und in der Regel nun gut lesen zu können. Natürlich gab es dann Lesungen, Buchproduktionen und Ausstellungen der Texte im Flur. Der Jaguar frisst einen Joghurt, der ein Zauberjoghurt war. Erst bekommt er Flügel, dann eine blaue Nase. Dann sprüht Wasser aus seiner Nase, wie eine Dusche. (Schülerin, 7) Der Jaguar rennt, Aber ein Joghurt fällt um. Über den Jaguar. Da sitzt der Jaguar in der Falle. Ein Panther schubst den Joghurt weg. Der Jaguar bedankt sich und rennt wieder. (Schüler, 7)

Das sind 2 Beispiele von vielen fantasievollen Buchstabengeschichten, die den Auftakt zu einer Schreibkultur im Klassenzimmer markierten, und die ich in einem Klassengeschichtenarchiv gesammelt habe.

(Ich hab damals viel mit Wörtern und Geschichten praktiziert. Zum Beispiel Gemeinschaftsgeschichten. das beschrieb ich hier.

4. Die Rückmeldungen - oder wie man Schreiben vertreibt


Eltern und Kinder waren überrascht und begeistert. Sie begrüßten die poetischen Aktivitäten der Kinder und fragten vorsichtig an, ob ich bereit wäre, für die Schule eine Lesung zu machen. Die Kinder waren enttäuscht, wenn die Geschichtenstunde ausfiel und allmählich wuchs ihr Vertrauen in die eigene Kraft des Fabulierens.


Nach einigen Wochen wurde ich zu einem Gespräch mit der Schulleitung gebeten. Man habe mir eine Rückmeldung geben wollen, hieß es.

In diesem Gespräch stellte sich heraus, dass meine Expertisen und Unterrichtsansätze für die Schule uninteressant, ja mehr noch unerwünscht waren.


Im Zuge dessen wurde ich gebeten, den Deutschunterricht wieder strikt nach Lehrbuch zu machen und meine Fähigkeiten als "Kinderbuchautorin" aus der Schule "herauszuhalten". Ferner wurde ich darüber aufgeklärt, dass ich durch das Abschreiben der Texte Gefahr laufen würde, dass Kinder später keine Bereitschaft mehr hätten, etwas neu zu schreiben.


Die Schulleitung war nicht darüber begeistert, in der Schulbücherei eine Lesung zu veranstalten, geschweige denn, dass sie Kenntnis von meinem Werk nahm, das für Schulen geeignet ist. Die Lesung sollte allerhöchstens exklusiv für die eigene Klasse durchgeführt werden. Auf Wunsch der Eltern tat ich das dann auch.

Nach 7 Monaten kündigte ich die Stelle die für ein Jahr geplant war, da ich den von mir als sinnvoll erachteten Schreibfreiraum für Kinder zu Gunsten von "Ausfüllen von Formularen" im Sprachbuch hätte streichen müssen. Und da ich es nicht ideal finde, Sprache ausschließlich nach einem Lehrbuch zu unterrichten.


Das habe ich getan, ohne zu wissen was kommt, meine freiberuflichen Aktivitäten hatte ich ja auf Eis gelegt. Aber die Geschichte hat 1 Happy-End: Just, als ich gekündigt habe, wurde mir der Kinderbuchpreis des Landes NRW verliehen. Und auf einmal hatte ich wieder so viel zu tun wie vorher.


Die Kinder waren empört. Eine Schülerin fragte mich: „Kann die neue Lehrerin denn auch Geschichten erzählen?“ Zum Abschied schenkte sie mir, nun schon in der 2. Klasse, ein Gedicht:



"Ich war zuhause da erschien eine Sonnenkatze ich habe ein Geschenk für dich, sagte sie und Ameisenwörter krabbelten rein" (Schülerin, 8)




5. Schule und Schreiben - Mein Herzanliegen

Immer noch würde ich am liebsten Schreiben und Schule zusammen bringen. Mit Geschichtenstunden, Autorenpatenschaft oder als poetische Beraterin für Kinderschreiben. Weil es so sinnvoll ist. Hier habe ich genauer beschrieben, worum es dabei geht.

Gern arbeite ich deshalb mit Schulen zusammen. Aus meinen Erfahrungen habe ich Fortbildungen für Pädagog*innen entwickelt: Hier! Ich berate dich auch gern, wenn du Schreibfreiräume einrichten möchtest. Hier kannst du mir schreiben: Kontakt

Hier gehts zu meinen Lesungen und Workshops für Kinder.


In diesem Sinne, lasst die Buchstaben rascheln!



ZITATE und Verweise.

  [1] Vgl. Martha Nussbaum: Toleranz, Mitleid, Gnade. In: Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend Campus Verlag
 
  [2] Andrea Karimé, Der Wörterhimmel des Fräulein Dill, Picus Verlag Wien.
 
  [3] Nuri und der Geschichtenteppich. Picus Verlag Wien 2006
  

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