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"das wort ist ein geschichtenbüro" erik, 4

  • AutorenbildAndrea Karimé

Hotelzimmer(k)leben – tagebuchstaben 26

TAGEBUCH/ Wochenbuch, mein #writerslife diese Woche in einem olfaktorisch herausforderndem Hotelzimmer; beseelenden Kinderwortschöpfungen, einem konspirativen Treffen, dem neuen Montagsgedicht und Wörtern im schillernden transzendenten Hallraum (Halloraum) von Chantal-Fleur Sandjon = tagebuchstaben 26.

unterwegs nach baden-württemberg

TAGEBUCHSTABEN 26


Dienstag, der 4.6.24 (Wörter-Loss)

Immer noch Regenregen. Und mal wieder keine Wörter. Gegen Wörter-Loss hilft vielleicht der Schrankspinat von Musa, die Apfellampe von Clara oder Giannis geheimnisvolles „Ipap“. Das alles sind frischgefischte Wörter aus den Projektheften der Kinder, aus Texten unter dem Motto: „Es darf unlogisch sein“, (Karimeesche Schreibübung Nummer 1). Die Freundschaft von Maus und Laus und dem Eisverkäufer Husatinus vertreibt Kummer und Sorgen endgültig. Das bringt mich auf die Idee, mehr (seltsame, liebliche, tröstliche) Freundschaftsgeschichten schreiben zu lassen. „Als ich aus dem Fenster schaute/ habe ich eine riesige Nase gesehen/ und dahinter war Moos“, schreibt Zeynep, 9 Jahre alt. Hatschi!

 

Mittwoch, der 5.6.24 (Fehlerfoll)

Wäre ich ein toller Troll, wenn ich schriebe, wie ich zu schrieben beliebe? Fehlerfoll? Natürlitsch nitsch. Toll, ya, aber Troll? Nitsch. Warum? Weil ich king unberechenbares Fabelwesen bing. Auch wenn manche das denken. Etwa: Wie kann die Frau mit diesem Teng eine Christin sein? Wie kann die dann eine Deutsche sein? Tscha, wie kann eigentlich? Ich lausche der Thermoskannensprache voller Konsonanten. Sagte sie nicht auch gerade „Tscha“? Tscha ist die einzige Antwort auf diese Frage.

 

Donnerstag, der 6.6.2024 (Kollegin)

Lesereise. Kurztrip Stuttgart. Treffe die wunderbare Kollegin, Lektorin und Zinesschwester Jessica Lawson zum Planen eines Adventskalenderzines. Wir besprechen den Plot bei Spargelsalat und Pistazienkuchen. Danach besorgen wir uns Chantals neues Buch. Das ist der schöne Teil. Dann Weiterfahrt zum Lesungsort. Übernachte in einem Monteurszimmer.  Öffne das Fenster und Krach schlägt mich auf beide Wangen. Gehe winziges Bad, versuche auf Kloschüssel sitzend nicht die Knie anzustoßen. Bemerke die Olfaktorik, ausgehend vom Duschvorhang. Herausfordernd. In der Nacht versucht eine alkoholisierte Person in mein Zimmer zu kommen. Denke daran, wie der Pfarrer mir schrieb, was ich für einen beneidenswerten Beruf ich hätte. Nun ja, auf vielen Ebenen stimmt das! Aber manche Lokalitäten turnen runter.  

 

Freitag, der, 5.6.24 (Schillerpfütze)

„..ein Schauer an Geschichten, der mich ganz durchtränkt, aus dem Regenbögen entwachsen und schillernde Pfützen, der Bäume nährt und Blumen gleichermaßen“, so Chantal-Fleur Sandjon in ihrem neuen fesselnden faszinierenden Buch: City of Trees. Und ich wunder mich wieder über die Magie ihres Sprach-Bilds, während der Rauch meines Nachbarn aus Parterre mit Elsterngeschnatter in mein Zimmer dringt. Ich nehme das Bild der schillernden Pfütze mit in den Tag, es stützt mich, meine Stunden; es singt wie ein Tor, ein Schreibtor, ein Auge, das Bilder produziert.

 

Samstag, den 8.6.24 (yom)

Mein Wortort heißt yom. Alle wegen des Ypsilons hat es mein Interesse geweckt. Das Wort heißt außerdem Tag auf Arabisch und Hebräisch. Es reimen sich Geschwüre drauf. Oder Augenkrankheit. Oder aber eine italienische Stadt.

Tagwort Yom/ Zwerg namens Yom/ wohnte in Rom /Trug Stundenhut/ Muster: Sekundenmut/ Yoms Herz ticking Tag/ (Na ja, das wird so nicht bleiben.)

 

Sonntag, der 9.6.24 (Bubble)

Es regnet es regnet/ der Karimee begegnet/ ein wolkenvolles Licht/ und das gefällt mir nicht/ und wie und was/ lichtropfen wassernass.

Habe die Arte-Doku über Antisemitismus fertig geschaut. Was wir in der Schule alles nicht gelernt haben! Empörend! Nichts über jahrtausendelange Verfolgung, Vertreibung, Ermordung. Nichts über die europäisch-christliche Erfindung des Antisemitismus, nichts über Ursprung und Verbreitung und Konservierung der wirkmächtigen antisemitischen Mythen. Du musst aktiv nach diesen Informationen suchen und sie durchdenken. Oder sie durchwirken und beeinflussen dich, ohne dass du es merkst. Und was es für Juden in Deutschland heißen kann, dass wir nix wissen?

„In Westdeutschland aufzuwachsen, bedeutete eine ständige Konfrontation mit dem tiefgreifenden Trauma und der Angst“, schreibt Julia Y. Alfandari zum Beispiel in „Trotzdem sprechen“. Willst du nichtjüdische Leser*in mehr wissen? Lies dieses Buch! Schau die Doku, lies oder höre „Über Israel reden“ von Meron Mendel.

Oder schau immer mal wieder hier hinein.

 

Montag, der 10.6.24 (schlafen)

Kindergedicht mit einer Illustration von Irem Kurt.

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