tagebuchstaben 45
Meine Woche mit einer Augenquelle, Lesungen, Angst, einer Grippe und einem neuen Porträt von Susann Bee. tagebuchstaben.
Dienstag, der 15.10.24 (Fragen)
Ich bereite eine Lesung vor. Lese mit Christian Linker für den VS in Köln. Wir lesen und sprechen über das, was Kinderliteratur soll. Unterhalten und aufklären? Belehren? Warum erzähle ich arabischstämmige Held*innen. Warum werden meine weißen Kolleg*innen nicht gefragt, warum sie immer nur weiße Held*innen schreiben. Warum werden Fragen ohne Fragezeichen zu seltsamen Aussagesätzen?
Mittwoch, der 16.10.25 (Lichtblicke)
Über Lichtblicke. Die bösen Zukunftsgedanken wollen alle auf die wenigen Lichtblicke in meinem Hirn und Herz klettern. Ist denn genug Platz für alle da? Aber ja, heute schon, die Lichtblicke sind klein, haben aber riesigen Leuchtradius. „Friendship is a language”, schreibt Sasha Mariana Salzmann in “Gleichzeit”, dem literarischen Briefwechsel mit Ofer Waldmann der in Israel und Deutschland lebt.
Donnerstag, der 17.10.24 (*Ain)
Ich bin eingeladen zu einem ganz wundervollen Projekt an der Uni Schwäbisch-Gmünd. Mit meiner Lieblingslibelle Kollegin Chantal-Fleur Sandjon. Es geht um postmigrantische Kinderliteratur und Unterricht. Ein Lichtblick. Dafür plane ich einen Vortrag. Wie hat sich mein Kinderbuchschreiben verändert seit dem 7. Oktober als Olivenbaum-Kinderbuchautorin? Als nahostverwurzelte Kinderdichterin? Ja, wie? Heute sammele ich Wörter aus Nahost. Hebräische und Arabische. Ich schreibe von der Augenqualle Ain, die Frieden verlor.
(Ain heißt Auge und Quelle auf Arabisch und Hebräisch.)
Freitag, der 18.10.24 (fies)
Jeden morgen schreibe ich Morgenseiten und daraus filtere ich ein Notat. Gedanken des Tages. Momente. Mein Writerslife und der Hallraum, in dem es schwirrt. Manchmal mit Wörtern aus meinem Manteltaschenbuch. Manchmal mit Wörtern von anderen, die ich gerade lese. Manchmal nur aus den Seiten des morgens. Das hilft durch fiese Zeiten. (Das schrieb ich vor einem Jahr, als ich damit begonnen habe. Nun sind die Zeiten noch fieser geworden, obwohl das kaum möglich scheint.)
Samstag, der 19.10.24 (Angst)
Ich hab wieder Angst, jeden Abend und jeden Morgen. Schlimmste Gedanken kommen. Die gesellschaftliche Stimmung bedrängt mich. Lebens- und Arbeitsgrundlage wanken. Ich schreibe Morgenseiten und arbeite, dann wird es besser. Und lesen hilft. Toni Morrisons Rede zum Literaturnobelpreis. „This is precisely the time when artists go to work. There is no time for despair, no place for self-pity, no need for silence, no room for fear. We speak, we write, we do language. That is how civilizations heal.”
Lektüre von Etty Hillesums Biografie. Wie sie am Abgrund stand. Das Schreiben hat ihren Tod nicht verhindert. Aber ihre Würde ist ihr geblieben.
Sonntag, der 20.10.24 (Haus)
Während meine Kolleg*innen die Buchmesse feiern oder sich feiern lassen, bin ich mit Inhalieren, Gurgeln und Nasenspülungen beschäftigt. Der grippale Infekt kam gestern richtig raus und jetzt heißt es Pille hier, Tröpfchen da. Trinken, trinken, trinken. Und die Angst bezwingen. Denn die Angst, so lese ich, ist ein Immunräuber.
Montag, der 21.10.24 (Laf)
Regenwörter*
Es regnet
Bleistifte
aus Regenrüsseln
und Regenschüsseln
der Hund namens Love
oder Laf träumt
von klopfenden
Herztropfen laf=Wort (Türkisch)
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