Mein Tagebuch/Wochenbuch. Eine Reise beendet diese Woche, gehalten und ungehalten von der Dichterin Semra Ertan, vielen Tauben-Huhs und viel Wortbrot.
Dienstag, der 23.7.24
„Ich schreibe auf … Was immer ich finde“, schreibt Semra Ertan. „Yaziyorum … Ne bulursam“. Deshalb spazieren die Spatzen, die Kreissäge und Wolkensahne durch meinen Spazio, was Weltall bedeutet. Schreib-Spazio. Ich, yazarim, finde eine Spätzle für das Kinderbuch, an dem ich aktuell arbeite. Aber ich finde auch das: Hass. Das wundervolle deutsche israelisch-palästinensische Weltlokal Kanaan ist überfallen und vandaliert worden. Warum? „Das ist eine kleine Erinnerung daran, dass die Hasser uns alle hassen“, sagt Tomer Dreyfus auf Instagram. UNS alle: Persons of Color, Schwarze Menschen, Migrant*innen, Jüd*innen, Muslim*innen, Queers … Eine kleine Erinnerung daran, dass Allianzen längst überfällig sind. Mein Name ist Ausländerin, antwortet mir Semra Ertan. Benim adim yabanci. Das alles finde und schreibe ich am Morgen, liebe Semra Ertan, mit Spatzenschwatz, Wortbrot und Wolkensahne. #tagebuchstaben
Mittwoch, der 24.7.24 (Wetter)
Gestern wieder heftige Gewitter. Vom Bett aus beobachte ich Blitzschriften am Himmel. Eindeutige Kalligramme von geheimnisvoller Kraft, neonfarben auf Schwarz. Nachbarn räumen Lachen und Geschirr von der Terrasse. Und doch bleibt der große Wetter-Imperativ unerhört.
Donnerstag, 25.7.24 (Taubenraumschiff)
Fünfmal machen die Taube vom Hof ihr Tauben-Hu. Unter der Eisenbahnbrücke auf der Venloerstraße ist dieses Tauben-Hu durch den tunnelartigen Klangraum vergrößert und durch die Anzahl der Tauben verhundertfacht. Ich gehe einkaufen und bleibe kurz darunter stehen. Wie in einem Taubenraumschiff stehe ich, verweile aber nicht; befürchte Herablassungen von Kotfladen.
Freitag, der 26.7.24 (Reise)
Ein Himmel eilt an meinem Fenster vorbei, und Grau in der Schleppe. Meine Geschichte ging gestern an zwei Testleserinnen. Und ich packe Koffer, nachdem der Arzt meine Ohren durchgespült hat und ich letztes für die Reise eingekauft habe. Die Reise also. Keine Lesereise, aber eine Reise mit Lesung. Von Irsee über Tullau und Chemnitz nach Kassel. Reise raus.
Samstag, der 27.7.24 (Lyrik)
Ich reise nach Irsee. Urlaub und Meisterklasse Lyrik mit Arne Rautenberg, der unprätentiöse Dichter für Kinder und Erwachsene. Vor drei Jahren habe ich schon mal eine Werkstatt bei ihm gemacht, und ich habe seine ruhige uneingebildete Art sehr geschätzt. Von Auslese hält er nichts: „Ich will, dass alle an meinem Workshop teilnehmen können.“
Ich fahre aber auch in ein Schloss. In der Nähe eines Sees. Ich fahre zu einem Treffen mit anderen Dichter*innen. Und dann weiter, nach Schwäbisch-Hall, zu Freund*innen. Dann weiter nach Kassel. Zu Familie und Freund*innen. (Fünf Stunden braucht der Zug, um in Augsburg anzukommen, ich nutze die Zeit für die Überarbeitung der Alle-Kinder-Bibel 2. Liebe ist ein Mühwort, ein Blühwort, ein Wort zum Tun.)
Sonntag, der 28.7.24
Ein Baum schaut mir ins Morgengesicht, auf mein Blatt und den ersten Kaffee in Irsee. Die ersten Tage buchstabiert mit Rauschlaub, Regen, Ententeich. Die Zug-Stunden haben mich aus Köln katapultiert und eine Distanz zu meinem Alltag hervorgebracht. Köstliche Luft strömt ins Fenster hinein, Note Gebirgsbach. Gleich geht's zum Morgenforum von Arne Rautenberg, dort wird er erste Inspirationen verstreuen. Vorher schnell noch was vom Buffet einpacken. Hab noch nicht gefrühstückt
Montagsgedicht, 29.7.24
PLANETENSPATZEN
spazio
tschilpt spatz
ich spazier
ins Weltall fort
mit abertausend
planetenspatzen
io!
(spazio=Weltall (italienisch))
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